Es gibt Dinge, die ändern sich nie. Sie sind seit Jahrmillionen gültig, sie sind verläßlich und sie sind unabänderlich. So auch die menschlichen Reaktionen, wenn Gefahr droht, wenn Leib und Leben auf dem Spiel stehen. Simpel erklärt: Es herrscht die blanke Angst. Lebensgefahr! Der Organismus reagiert in Bruchteilen von Sekunden mit einer massiven Ausschüttung von Adrenalin. Die Konsequenz, ebenso blitzschnell wie effektiv: Entweder stellen wir uns dem Kampf oder wir fliehen. Alles andere wäre tödlich. Der Körper ist sowohl für den Angriff als auch für die Flucht bestens vorbereitet. Wir sind gewappnet, komme, was da wolle. Durch die Adrenalinausschüttung wird der Blutfluß angeregt, Muskeln, Herz und Verstand arbeiten auf Hochtouren. Doch ebenso wie man einen Motor nicht permanent hochtourig fahren kann, ohne ihn nachhaltig zu ruinieren, hat auch unser Organismus vorgesorgt. Sobald die Gefahr gebannt ist, der Feind besiegt ist oder wir in Sicherheit sind, kommt es zu einer ausgeklügelten Gegenregulation durch Insulin und zu einer kurzfristigen Ausschüttung von Kortisol. Das ist lebenswichtig, denn wir müssen uns wieder beruhigen, unseren Lebensmotor wieder im Normalbereich fahren. Also erfolgt die Meldung: Alles in Ordnung und der Kortisolspiegel normalisiert sich. Das Herz rast nicht mehr, die Atmung wird ruhig und gleichmäßig und die Muskeln entspannen sich. Ein perfektes System, das schon den Höhlenmenschen nach dem erfolgreichen Kampf gegen den wilden Bären überleben ließ. Er wußte sich und seine Lieben in Sicherheit, er konnte zum Tagesgeschäft übergehen. Ja, er hatte es gut, der Höhlenmensch in grauer Vorzeit. Er verfügte nicht nur über einen intakten Organismus, sondern er lebte auch entsprechend: in einer Welt, die ihre klaren, wenn auch harten Gesetze und Abläufe hatte.
Wo sind die wilden Bären?
Und auch heute funktioniert unser Organismus noch in der beschriebenen Form. Allein die wilden Bären, die uns in schöner Unregelmäßigkeit in Lebensgefahr bringen, fehlen. In unserem Alltag geht es nicht mehr um Leben und Tod, wir müssen nicht tagein tagaus ums Überleben kämpfen oder uns vor gewaltigen Bränden in Sicherheit bringen. Die Ausschüttung von Adrenalin kommt in aller Regel nur noch sehr selten vor. Gott sei Dank, möchte man meinen, und dennoch fällt es uns immer schwerer, den Herrgott zu preisen. Denn irgendwie fühlen wir uns ständig in Gefahr, wir fühlen uns ungeschützt, hilflos ausgeliefert. Doch das, was wir heute durchleiden, sind nicht die klassischen „Adrenalin- Entzünder“, sondern ganz perfide und subtile Bedrohungen. Es sind jene, die dazu führen, daß wir, nicht wissend warum, in eine völlige Lethargie verbannt werden, die Griechen würden es „marasmós“ (gr. = welk werden) nennen.
Wenn das Gute zum Bösen wird
Wer soll das verstehen? Ist denn die Angst um den Arbeitsplatz nicht lebensbedrohend? Bedeuten die schädlichen Substanzen in unseren Lebensmitteln keine tödliche Gefahr? Bringt uns der Lärm, der uns täglich umgibt, nicht an den Rand des Zusammenbruchs? Schütten wir in einer Welt voller Angriffe nicht ständig Adrenalin aus? Nein, definitiv nicht. Was wir hingegen ständig produzieren, ist das eigentlich lebensrettende Kortisol. Unser Organismus meldet: Keine Gefahr für Leib und Leben, aber Bedarf an Kortisol. Denn sobald wir mit den sogenannten modernen Stressoren, diesen subtilen Angriffen der modernen Zeit konfrontiert werden, meldet der Hypothalamus der Nebennierenrinde: Sofort Kortisol ausschütten. Da das Kortisol aber bekanntlich dazu führt, daß wir entspannen, ruhig und bisweilen sogar schläfrig werden, sind der Schlappheit, der Antriebslosigkeit und schließlich der absoluten Lustlosigkeit Tür und Tor geöffnet. Warum das so ist, warum aus den positiven Eigenschaften des Kortisols plötzlich schlechte werden, warum der Organismus permanent geringe Mengen an Kortisol produziert, ohne daß es zuvor zu einer Adrenalinausschüttung gekommen ist, kann von den Biologen noch nicht erklärt werden. Es darf jedoch vermutet werden, daß der urzeitliche Mensch keine derartige Programmierung brauchte. Den Psychoterror unserer Tage, bei dem sich Menschen gegenseitig fertig machen, indem sie sich um Nichtigkeit streiten, kannte er ebenso wenig wie Gülle, Lärm und Perspektivlosigkeit.
Es kommt immer noch ein wenig schlimmer
Doch damit nicht genug. Sobald wir dem modernen Streß über längere Zeit ausgesetzt sind, wird ein gefährlicher Mechanismus in Gang gesetzt. Die Meldungen des Organismus sind gestört, der Hypothalamus meldet sich laufend und der Körper produziert mehr und mehr Kortisol. Schlimmer noch. Im Laufe von Zeit ist dieses so ausgefeilte System derart ramponiert, daß der Organismus selbst dann, wenn gar keine Gefahr besteht, im Streß-Status verweilt. Ein Teufelskreis, der zur tödlichen Falle werden kann, denn ein hoher Kortisolspiegel über einen langen Zeitraum hat fatale Folgen für den gesamten Organismus. So leidet die Kontrolle über den Blutzucker, da Insulin nicht mehr richtig wirkt. Ständiger Hunger führt zu Übergewicht, die Knochendichte nimmt ab und die Osteoporose-Gefahr zu. Die Immunabwehr wird geschwächt, Allergien sind zur Volksseuche geworden. Schlafstörungen, unten denen Millionen Deutsche leiden, sind noch die harmlosesten Probleme. Schließlich und endlich: Wir gehen – ganz langsam aber ebenso sicher – total erschöpft und ohne Gegenwehr – in einen völlig kranken Zustand über. Wir bereiten den idealen Nährboden für das, was lapidar „Zivilisationskrankheiten“ genannt wird, nach dem Motto „Wer kein Steinzeitmensch sein will, muß Krankheit in Kauf nehmen. Was der blanke Schwachsinn ist, denn es gibt auch heute noch Möglichkeiten, gesund und in Frieden zu leben. Allein diese Wege sind oftmals nicht populär, sie sind nicht normgerecht und häufig auch gegen die Interessen der unterschiedlichsten Lobbyisten.
Kampf gegen den Krampf
Allerdings formieren sich, wenn auch nur langsam die Widerständler. Die, die dem täglichen Terror den Kampf ansagen. Getreu dem Motto „Wer sich nicht wehrt, stirbt!“ gehen immer mehr Menschen gegen die Willkür der Bürokraten auf die Barrikaden, lassen sich nicht mehr von jedem dahergelaufenen Manager den Stuhl grundlos vor die Tür setzen und verzichten auf Arzneien, die millionenfach beworben, aber dennoch fragwürdig oder gar schädlich sind. Nur leider ist bei der Fülle der „Stresser“ in unserer Gesellschaft die Gruppe der modernen Partisanen noch viel zu klein. Doch mit jeder Ausgabe der Urheimischen notizen wird ihre Zahl größer.