Der Mai ist schon immer ein magischer Monat gewesen. In der Mythologie ist die Bergnymphe Maia zuständig für Vermehrung und Wachstum. Mit kaum einem anderen Monat verbinden sich für uns so viele positive Gedanken, Gefühle und Erinnerungen. Ganz egal wie alt wir sind, in keinem anderen Monat fühlen wir uns so jung wie im Mai.
Doch dieser „Wonnemonat“ hat auch andere Seiten: Viele kleine Torheiten und auch manche große Dummheit fallen in diese Zeit. Was gab es nicht schon alles an „Frühlingstorheiten“! Wer erinnert sich noch an das hochgelobte Eigenurintrinken, das vor etwa 20 Jahren durch die Medien geisterte und Zigtausende von Deutschen zu wahrhaft harten Trinkern werden ließ? Heute kräht kein Hahn mehr nach dem Gesundheitstrunk aus Eigenproduktion. Dann gab und gibt es immer noch das unsägliche Evangelium vom „viel Wasser trinken“. Mal werden zwei Liter pro Tag empfohlen, mal drei, mal mehr. In den Büros der Republik gluckern fortan Millionen von lebenden Wasserfässern vor den Computern. Trinken ohne Durst – nicht ganz ungefährlich. In der Psychiatrie gilt das Trinken ohne Durst als Zeichen von Geisteskrankheit. Dazu Heinrich Kasper in Ernährungsmedizin und Diätetik, S.47: „Psychiatrische Patienten nehmen gelegentlich extreme Mengen an Trinkwasser auf. Hierdurch können – trotz intakter Nierenfunktion – die normalen Regulationsmechanismen überfordert werden, so daß es zu dem Krankheitsbild der akuten Wasserintoxikation kommt.“
Harmloser ist da schon das Gehen am Stock – das Nordic Walking, die lächerlichste Art der Fortbewegung. Im Augenblick ist es ganz sicher auch die auffälligste Form der Frühlingstorheiten. Vielleicht wird es eines Tages sogar Mode, beim Nordic Walking die Stöcke wegzulassen. Dann sind wir endlich und glücklich wieder bei dem angelangt, was man schlicht und einfach als Gehen bezeichnet. Tatsache ist: mit jedem neuen Mai werden wir ein Jahr älter. Viele wollen das nicht wahrhaben. Am allerwenigsten die Werbeindustrie. Für sie besteht der größte Teil der Bevölkerung aus strahlenden 28-jährigen Seglern, die weißen Rum trinken, gern Cabrio fahren und auf Berge steigen, um dann im gesegneten Alter von 30 Jahren mit dem Golfspielen zu beginnen. Auf dem Arbeitsmarkt geht es ähnlich zu: „Sie sind idealerweise zwischen 25 und 35 Jahre alt“, heißt es in vielen Stellenangeboten. Ist das wirklich das Ideal, das es anzustreben gilt?
„Ja“, sagt Dr. med. Ulrich Strunz, selbsternannter Fitneßpapst und Buchautor. Seit Jahren predigt er seine penetrante Botschaft vom „Forever young“. Bloß nicht alt werden! Strenge Ernährungsregeln und exzessiver Sport sollen laut Strunz den natürlichen Alterungsprozeß stoppen. Den Rest besorgen Mode- und Kosmetikindustrie, in hartnäckigen Fällen das Messer des Schönheitschirurgen. Und wenn du nicht mehr jung bist, fordern die Wellneßprediger und Fitneßgurus von uns, dann tu wenigstens so als ob. Such dir einen jüngeren Partner, färb dir die Haare, leg dir neue Klamotten zu, kauf dir ein Cabrio oder ein Buch von Dr. Strunz. Der Weg von der Jugendlichkeit zur Lächerlichkeit ist ausgesprochen kurz.
Ohne Zweifel – die Jugend ist eine schöne Zeit. Die ewige Jugend ganz sicher nicht. Auch wenn es gern verdrängt wird – das Alt werden gehört zum Leben wie Geburt und Tod, und das ist auch richtig und schön so. Und zum Leben brauchen wir weder Cabrio noch Segelboot noch Dr. Strunz.
„Alles neu macht der Mai“? Nein, das tut er nicht. Die Erneuerungen kommen von uns und aus uns selbst. Wer etwas ändern möchte, kann das in jedem Monat tun. Der Mai macht nicht alles neu, aber er ist eine gute Gelegenheit sich zu besinnen, Kleinigkeiten im eigenen Leben zu verändern oder etwas ganz Großartiges Neues zu beginnen.