Freispruch oder Todesstrafe?
Kaum ein Thema ist in unserer Gesellschaft so umstritten wie der Alkohol. Suchtexperten würden den Konsum am liebsten ganz verbieten. Kein Wunder, sehen sie doch tagtäglich das Elend derjenigen, die einen vernünftigen Umgang mit Alkohol nicht hinbekommen. Die weder ihren täglichen Aufgaben nachkommen, noch ein gutes Sozialleben aufrechterhalten können. Das Leid der Betroffenen und ihrer Angehörigen, dem man oft genug hilflos gegenübersteht, läßt ein Alkoholverbot als sinnvolle Antwort erscheinen.
Doch die Sichtweise wird dem Gesamtthema nicht gerecht. Alkohol-Verbote (Prohibition USA 1920er Jahre) oder starke Besteuerung (wie in einigen skandinavischen Ländern) führen nicht dazu, daß weniger getrunken wird. Stattdessen gedeihen Schwarzbrennerei, Panscherei und Schmuggel. Die amerikanische Mafia hat die Wurzeln ihrer derzeitigen Macht während der Prohibition gelegt, als sie sich am illegalen Handel mit Alkohol eine goldene Nase verdiente. Gepichelt wird also bei Verboten nicht weniger, sondern nur heimlicher.
Alkohol ist ein urheimisches Genußmittel. Unser Körper ist durch die lange Koevolution mit angefaultem (angegorenem) Obst und später gezielter Herstellung vergorener Getränke recht gut an den Umgang mit Alkohol angepaßt 1). Ein mäßiger Alkoholkonsum kann sich bei bestimmten Krankheitsbildern sogar positiv auswirken. Untersuchungen haben gezeigt, daß beispielsweise der Verlauf der rheumatoiden Arthritis bei Genuß von maximal einem alkoholischen Getränk pro Tag deutlich gemildert werden kann 2).
Zudem verlängert mäßiger Alkoholkonsum das Leben und senkt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um ein Viertel 3). Auch Demenz, Diabetes und Osteoporose treten seltener auf 4). Die Erklärung für viele positive Wirkungen ist recht einfach. Die Lösung des Rätsels liegt in der Senkung der Streßhormone. Wer sich entspannt, sorgt automatisch für eine Verbesserung seiner Blutzuckerwerte, des Fettstoffwechsels und des Blutdrucks. Er wirkt also dem metabolischen Syndrom entgegen. Gelenk- und Muskelschmerzen durch chronische Verspannungen und ein gereizter Darm sind eine weitere Folge eines dauerhaft erhöhten Streßpegels, genauso wie Schlafstörungen, Ängste und Depressionen 5).
Zudem gibt es viele berühmte Menschen, die trotz oder vielleicht gerade durch hohen Alkoholkonsum Hervorrangendes geleistet haben, wie Beethoven, Hemingway oder Adenauer. Andere, wie Alexander den Großen oder Harald Juhnke zog er in den Abgrund. Die Natur jedes einzelnen, sowie seine Lebensumstände entscheiden über seine Suchtgefährdung.
Jean-Jacques Rousseau hat das sehr treffend auf den Punkt gebracht: „Denn mit der Freiheit steht es wie mit den schweren und kräftigen Speisen oder mit den starken Weinen, die geeignet sind, die robusten Naturen, die an sie gewöhnt sind, zu nähren und zu stärken, während sie die Schwachen und Empfindlichen, die nicht für sie geschaffen sind, überwältigen, zugrunderichten und trunken machen.“ 6)