Es war einmal ein Arzt, der trug statt eines weißen Kittels ein Bärenfell. Und dementsprechend wurde er auch genannt: Zamolxis (oder Zalmoxis zálmos = thrakisch für Bärenhaut). Als „ekstatischer Krieger“ lebte er um etwa 700 v. Chr. im Volke der Thraker (heute nordöstliches Griechenland). Dort avancierte er vom medizinischen Ratgeber des Königs erst zum thrakischen König selbst (Zalmodegikós) und wurde ob seines heilkundlichen Wissens bald als Gottheit verehrt. Zamolxis vertrat den Gedanken, daß jegliches körperliches Befinden vom Zustand der Seele abhängig ist. Die Seele sei vor allem durch schöne Gespräche frohzustimmen, bevor darauf aufbauend der Körper saniert werden könne. Für dessen Therapie definierte er die Rangfolge „vom Allgemeinen zum Besonderen“. Der gesamte Körper müsse betrachtet und miteinbezogen werden, wenn ein einzelnes Organ kuriert werden soll. „Wie man an das Heilen des Auges nicht herangehen kann ohne Heilung des ganzen Körpers, kann man auch die Heilung des ganzen Körpers nicht durchführen ohne die Heilung der Seele.“
Nachdem sich die antike Medizin im 6. und 5. Jh. v. Chr. als Ganzheitsmedizin etabliert hatte, brachte die griechische Chirurgie ihr Konzept im 4. Jh. v. Chr. ins Wanken. Unter zunehmender Spezialisierung begann sie sich auf die Operation an einzelnen Organen zu konzentrieren, was die damaligen Asklepios-Anhänger, Hippokratiker und auch Philosophen wie Platon beunruhigte. Letzterer benutzte daraufhin Zamolxis‘ Thesen, um gegen diesen unerwünschten Fortschritt der Medizin zu argumentieren. Er warf den griechischen Chirurgen vor, mit der Umkehr der therapeutischen Abfolge nicht nur den Patienten sondern dem gesamten hellenischen Volke Schaden zuzufügen, da der größte Teil der Krankheiten so nicht mehr geheilt werden könne.
Der neue Pauly XIV/2, 691, Stuttgart und Weimar 2003