Die meisten dieser Mikroorganismen besiedeln den Verdauungstrakt, vor allem den Darm. Eine große Rolle spielt dabei die Gruppe der Enterobacteriaceae, zu der beispielsweise Escherichia coli gehört. Diese Bakterien bilden unsere natürliche Darmflora und beeinflussen unsere Gesundheit auf vielfältige Weise. Das Darmmikrobiom hält nicht nur pathogene Erreger in Schach, sondern ist auch an der Produktion von Neurotransmittern beteiligt, die unsere Stimmung und unsere geistige Gesundheit beeinflussen (Darm-Hirn-Achse). Ein Ungleichgewicht des gesamten Mikrobioms kann eine Vielzahl komplexer Beschwerden hervorrufen: Fettleibigkeit, Typ-2-Diabetes, rheumatoide Arthritis, aber auch neurologische Erkrankungen wie Alzheimer oder eben auch psychische Erkrankungen [1].
Kleinkinder haben in den ersten zwei bis drei Lebensjahren kein stabiles Darmmikrobiom. In diesem Alter ändern sich die Zusammensetzung und die Stoffwechselfunktionen noch erheblich; erst danach erreicht das Darmmikrobiom Erwachsenenniveau. Im Alter wiederum wendet sich das Blatt. Da verschlechtern sich bei vielen
Menschen die physiologischen Funktionen und damit geht auch die Zahl der nützlichen Arten des Darmmikrobioms zurück. Bei alten Menschen, die, wie in den „Blue Zones®“, gesund bleiben, sieht das jedoch anders aus. Auch sie haben ein verändertes Darmmikrobiom [2]. Während in ihrem Fall bestimmte Bakterienstämme sich verringern, nimmt auf der anderen Seite die Zahl seltener Bakterien zu – und wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus. So produzieren die selteneren Bakterienstämme vermehrt entzündungshemmende Aminosäure-Derivate, die dann im Blutkreislauf zirkulieren. Im Darmmikrobiom der Hundertjährigen auf der zu den „Blue Zones®“ gehörenden japanischen Insel Okinawa zum Beispiel sind Bakterienstämme zu finden, die spezielle sekundäre Gallensäuren produzieren und damit auf pathogene Darmbakterien einwirken [3]. Außerdem ist bei den Bewohnern Okinawas das Virom, also der Teil des Mikrobioms, der durch Viren gebildet wird, vielfältiger als bei anderen alten Menschen [4]. Das Resultat dieser Veränderungen: Die Senioren auf Okinawa sind, ebenso wie in den anderen als „Blue Zones®“ bezeichneten Regionen, weniger anfällig für altersbedingte Krankheiten, chronische Entzündungen und Infektionen.
Die Ernährung der alten Menschen auf Okinawa ist reich an Ballaststoffen, Antioxidantien, Bitterstoffen und Soja; auf Sardinien dagegen schwören die dort lebenden Alten auf ihre Minestrone (Gemüsesuppe). Die Hundertjährigen auf der griechischen Insel Ikaria wiederum ernähren sich mediterran, trinken Kräutertees aus verschiedenen Salbei- und Malven-Arten und genießen ab und an einen Schluck nach alter Tradition selbst hergestellten Weins. Völlerei ist den alten Menschen in den „Blue Zones®“ fremd: Sie ernähren sich nach der 80-Prozent-Regel und lassen bewusst eine Lücke zwischen Hunger- und Sättigungsgefühl. Die Japaner auf Okinawa nennen diese Regel nach einem 2500 Jahre alten konfuzianischen Mantra auch „hara hachi bun me“.
[1] Jovel, J., et al. (2018). The human gut microbiome in health and disease. Metagenomics, 197-213. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/B9780081022689000100
[2] Wilmanski, T., et al. (2021). Gut microbiome pattern reflects healthy ageing and predicts survival in humans. Nature metabolism, 3(2), 274-286. https://www.nature.com/articles/s42255-021-00348-0
[3] Hou, K., et al. (2022). Microbiota in health and diseases. Signal transduction and targeted therapy, 7(1), 1-28. https://www.nature.com/articles/s41392-022-00974-4
[4] Johansen, J. et al. (2023). Centenarians have a diverse gut virome with the potential to modulate metabolism and promote healthy lifespan. Nature microbiology, 8(6), 1064-1078. https://www.nature.com/articles/s41564-023-01370-6