Mit diesem Vers beginnt der Barockdichter Andreas Gryphius sein noch heute populäres Sonett Es ist alles eitel. [1] Man könnte meinen, er blicke die modernen Winterfeste Weihnachten und Silvester an: Wer hat den größten Baum, die dicksten Geschenke, die hellste Gartenbeleuchtung, das fetteste Essen, das größte Feuerwerk? Den hermeneutischen Fehler wollen wir aber nicht begehen. Wenn Gryphius im 17. Jahrhundert von Eitelkeit spricht, dann meint er in der alten Wortbedeutung nicht (erstrangig) derlei gefallsüchtige Prahlereien, sondern das Vergängliche, Flüchtige, Nichtige – all das, was eigentlich nichts zählt angesichts der göttlichen Ewigkeit.
Und siehe da – auch in dieser Bedeutung trifft Eitelkeit auf die luxuriös verformten Feiertage zu. Stärker könnte der Gegensatz von formuliertem Anspruch und Wirklichkeit kaum sein. Das besinnliche Fest der Liebe, das Familienfest zu Jesu Geburt, das begangen wird in Frömmigkeit, ist nichts als toter Konsumritus, Familienstreit inklusive, Schlachtfest für Tannenbäume und Gänse, Verschwendung von Lebenszeit und Ressourcen. Ganz vorne mit dabei sind unsere Städte und Gemeinden, die das Prassen vormachen mit wochenlangen Weihnachtsmärkten, noch weiter ausgebauter Beleuchtung und jahrzehntealten Bäumen, die nur zur Belustigung ihr Leben lassen müssen (siehe Kurz und bündig). Wenn Uwe Timm in seinem Roman Ikarien [2] die Tötung eines Kaninchens kommentiert: „Denn mit jedem Leid der Kreatur geht ein Riss durch die Welt“ – dann möchten wir ihm zurufen: Auch die Bäume sind Kreaturen!
Genauso wie wir Menschen und die Tiere. Aber warum sollte unser Umgang mit der Flora auch besser sein als mit uns selbst? Beim Feuerwerk belasten wir die Luft mit Feinstaub (siehe Kurz und bündig), versetzen die Wild- und Haustiere in Panik, [3] produzieren tonnenweise Sondermüll mit giftigen Chemikalien, die doch ach so schön leuchten.
Der Teufel liebt den Krach! Beim Bleigießen drücken wir ein Auge zu, denn die Tradition will es so, wen kümmern Schwermetalle, Hirn-, Leber- und Nierenschäden, es ist doch die Silvesternacht! [4]
Es geht auch anders. Ob Christ oder Atheist, Jude, Moslem, Hindu oder Agnostiker: Uns Menschen eint die Fähigkeit zur Einsicht, uns eint der Wunsch nach einer Verschnaufpause am Ende eines arbeitsreichen Jahres, uns eint die Fähigkeit zur Empathie. Nutzen wir doch unsere Potentiale und gestalten wir die Zeit zwischen den Jahren aktiv entscheidend! Laden wir diejenigen ein, die keine Familie oder kein Obdach haben, führen wir Gespräche und kümmern wir uns um uns selbst; ziehen wir uns aus dem alltäglichen Trubel zurück und hasten nicht von den eigenen zu den Schwieger- und anschließend den Großeltern oder Enkeln und Kindern und Onkeln und Tanten und Neffen und Nichten…, nur um der Etikette zu folgen. Echtes Leben findet da statt, wo authentische Lebensregung ihren Ausdruck findet. Dazu bedarf es keiner Tier- und Baumschlachtungen, keiner Rituale, Trinkgelage und lauten Knallerei. Wenn wir den Streß vermeiden, entlasten wir unserImmunsystem (siehe aktuelles Thema) und belasten die Welt nicht mit unserer Prasserei.
So sind wir zwar noch längst nicht weg von den vergänglichen Dingen, die Gryphius mit dem Blick des Poeta doctus diagnostiziert. Aber wir werden dem eigenen Anspruch gerecht, Mensch zu sein und nicht maßloser Verbraucher. In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein einen guten Jahresabschluß und ein bewußtes neues Jahr!
Ihr Dr. Georgios Pandalis
1] Text und Analyse unter: http://www.dphv.de/fileadmin/user_upload/wettbewerbe/lyrix/2011/lyrix-Maerz-April11-PDF-Deutschunterricht.pdf
[2] Uwe Timm: Ikarien. Köln 2017.
[3] https://www.peta.de/feuerwerk
[4] https://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/umwelteinfluesse- auf-den-menschen/besondere-belastungssituationen/ blei-zu-weihnachten-silvester